Im Mittelpunkt von J. M. Coetzees Roman Schande (Disgrace) von 1999 steht eine Figur, die lange selbstverständlich im Besitz der höchsten (aufmerksamkeits-)ökonomischen Macht war und mittlerweile unter heftigem Beschuss steht: ein älterer, weißer, heterosexueller, privilegierter Mann. David Lurie, alleinstehender gelangweilter Professor für Kommunikationswissenschaft und Experte für englische Romantik an einer Universität in Kapstadt, findet sich aufgrund einer Affäre mit einer Studentin plötzlich vor einem internen Untersuchungsausschuss wieder, verliert seine Stelle und steht vor dem Nichts. Er zieht aufs Land, zu seiner Tochter Lucy, die auf sich allein gestellt versucht, eine Farm zu bewirtschaften. Dort schreibt er an einer Oper über Byron und wird zunehmend zum „Hunde-Mann“, der in einer Tierklinik angesichts des Verbrennens der Tierkadaver über die nicht nur menschliche Würde nachdenkt. Hier draußen in der Provinz ist die Machtkonstellation eine andere als die, von der David Lurie bisher profitiert hat, jedoch wiederum eine asymmetrische: Lucy als Weiße, lesbische Frau, Nachkommin der Kolonialisten, ist umgeben von den aufstrebenden Schwarzen Männern der postkolonialen südafrikanischen Gesellschaft. Ihr Angestellter Petrus hat nachbarliches Land gekauft und gewinnt zunehmend an ökonomischer Potenz, während für Lucy fraglich ist, wie lange sie noch finanziell überleben wird. Eines Tages wird sie vergewaltigt, ohne dass ihr Vater ihr helfen kann. Petrus kennt die Täter – doch Lucy und ihr Vater haben gänzlich gegensätzliche Ansichten darüber, was nun zu tun ist …

Coetzees Roman spielt etwa fünf Jahre nach dem offiziellen Ende der Apartheid in Südafrika und fängt in der umfassenden Krise seiner Hauptfigur die Umbruchsituation einer (post-kolonialen) Gesellschaft ein, in der sich alte Gewissheiten auflösen und neue noch in Verhandlung sind. Dabei sind die asymmetrischen Zuschreibungen permanent fluid, in Bewegung: Wer bestimmt und steht für die (neue) Ordnung, die Norm, wer nicht? Wer ist Täter*in, wer Opfer? Woraus konstituiert sich eine Identität? Ohne den Preis zu verleugnen, der gezahlt wird von allen Seiten, spürt der Text der Frage nach, wie im menschlichen Fallen die Suche nach Würde beginnen kann.

Mehr Weniger
  • Dauer: 1:40h, keine Pause
  • Uraufführung/Premiere: 30.10.2021
  • Sprache: Deutsch mit englischen Übertiteln
Videotrailer Schande (Disgrace)
(c) Siegersbusch Film
Alle Beteiligten
Pressestimmen

Wer aus diesen etwa 110 Theaterminuten unbewegt hinausgeht, fühlt nicht mehr viel: "Schande" in der Regie von Oliver Frljić wuchtet nicht einfach den gleichnamigen Roman von J. M. Coetzee auf die Bühne - die Inszenierung durchdringt vielmehr die ungeheure Vielschichtigkeit von Rassismus mit Hilfe des Buchs, das ja selbst unter Rassismus-Verdacht steht.
Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Jens Dirksen

Kooperationen