Ein Mann, so hellhaarig und hellhäutig, dass man ihn am liebsten als Albino bezeichnen würde, liest eine Traueranzeige vor. So beginnt das Stück. Der „Albino“ wird von einer Frau gespielt. Seine Identität passt in keine Schublade. In der letzten Szene werden wir seine Beerdigung sehen, in der er offen fragt, warum niemand so schöne Dinge wie in der Trauerrede zu ihm gesagt habe, als er noch am Leben war.

Figuren wie er tauchen auf und ab und wieder auf in dem sonderbaren Szenenreigen Das Gespenst der Normalität der finnischen Autorin und Regisseurin Saara Turunen. Der Titel ist inspiriert von Luis Buñuels Film Das Gespenst der Freiheit. Wo der Film die gesellschaftliche Freiheit in surrealistischen Episoden untersucht, bohrt sich das Theaterstück in unsere Vorstellungen vom Normalen und Alltäglichen. Es erzählt von der Sehnsucht nach dem Gewohnten, aber auch von der Bedrohlichkeit des Andersseins, der Angst, sich von der Menge abzuheben.

Minimalistische Szenen, ruhig, manche ganz ohne Sprache, versehen mit einem feinen Humor, fügen sich nahtlos aneinander und entwickeln einen fast filmischen Sog: eine Familie beim Fernsehen, eine kleine Hochzeitsfeier, eine Frau, die Vokabeln lernt, eine Frau beim Paartherapeuten, Schulkinder im Chorunterricht oder junge Männer in einem Nachtclub. Doch diese Idyllen haben feine Risse: Die Welt ist in diesem Stück ein Durchgangszimmer, in dem jede und jeder zu Hause und auch wieder fremd ist. Diese Menschen haben Wünsche und Ängste; sie wollen dazugehören, nicht auffallen, sich frei entfalten oder andere in ihre Schranken weisen. Saara Turunen, Jahrgang 1981, erzählt hiervon in einer ganz eigenen Theatersprache, die eine Entdeckung im deutschsprachigen Theater ist. Sie verfremdet das Gewöhnliche, indem sie eine absurde Welt aus traumartigen Bildern erschafft. Fast so, als wären die skurrilen Melancholiker aus den Filmen von Roy Andersson oder Aki Kaurismäki in die klaustrophobischen Kunst-Tableaus einer Theateraufführung von Susanne Kennedy geraten. Wie das aussieht? Jedenfalls alles andere als normal.

Die finnische Originalversion entstand 2016 am Q-teatteri in Helsinki und dem Tampereen Teatterikesä.
 

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  • Dauer: 1:40h, keine Pause
  • Uraufführung/Premiere: 11.09.2021
  • Sprache: Deutsch mit englischen Übertiteln
Videotrailer Das Gespenst der Normalität
(c) Siegersbusch Film
Alle Beteiligten
Pressestimmen

Normal sein, man liest es zur Zeit auf Wahlplakaten, das ergibt sogar eine politische Forderung. Die finnische Theatermacherin Saara Turunen befragt in ihrem Stück Das Gespenst der Normalität diesen Begriff. Das ergibt am Schauspielhaus Bochum einen wunderbar verschrobenen, in Melancholie getränkten und zugleich von trostvoller Heiterkeit aufgehellten Abend.
Westfälischer Anzeiger, Ralf Stiftel

Eine absurde, berührende, poetische, so komische wie traurige Szenenfolge über das zwanghafte Verharren in der Normalität. Eine kleine Perle im Repertoire.
theater:pur, Dietmar Zimmermann

Ein groteskes Trauerspiel, teilweise saukomisch.
Ruhrnachrichten, Kai-Uwe Brinkmann

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Vor den Augen der Zuschauer entfaltet sich ein ganz eigener Kosmos mit wunderbar poetischen, surrealistischen Bildern, auf den Punkt genau arrangiert und mit einem durchgehenden musikalischen Soundtrack abgerundet. [...] "Das Gespenst der Normalität" ist ein stilles Kleinod in einer lauten Welt, das hoffentlich von vielen erhört wird.
coolibri , Ariane Schön