#2: Wie geht es ... weiter ... geht es so ... weiter?


WAS IST JETZT MIT DER WELT?
Heißt es bei Shakespeare, in Macbeth.
In Shakespeares Hamlet heißt es auch: ES GIBT NICHTS GUTES ODER SCHLECHTES, ERST DAS DENKEN MACHT ES DAZU.
Und in King Lear steht Shakespeares berühmte Regieanweisung: NOCH IMMER STURM.

Wir taumeln noch immer inmitten eines Sturms, den wir längst gern überstanden hätten. Suchen Auswege. Antworten. Finden uns hin- und hergerissen zwischen „Gutem“ und „Schlechtem“, in Gräben dazwischen, die sich immer wieder verschieben. Und vertiefen.

Wir sehen einerseits: Vormarsch von Diktatoren. Machtstrategische Spiele mit Menschenleben an den Grenzen Europas. Rückzug der Demokratie und von Freiheits- und Minderheitenrechten von Russland bis Hongkong. Und dazu Verzerrung dieser Begriffe und Werte hier, in einem längst nicht mehr nur rhetorischen politischen Kampf. Wir sehen: zerbrechende berufliche und private Existenzen und ausgeblutete Helfer*innen, die unser kapitalistisches System Jahrzehnte lang an den Rand drängte und die nun mit letzter Kraft unsere Gesundheit retten sollen.

Was davon war längst da, nehmen wir jetzt aber erst wahr (als hätte es dafür ein klärendes Gewitter gebraucht)? Und hat das auch etwas Gutes: dass wir es jetzt deutlicher sehen?

Wir sehen andererseits: Achtsamkeit, Zusammenhalt, Solidarität einer großen, eher stillen Mehrheit. Unterstützung für Schwächere, nicht zuletzt bei Spendenaktionen im Schauspielhaus. Wir sehen: Offenheit gegenüber Kritik und Selbstkritik. Wachsende Sensibilisierung für diskriminierendes Verhalten, für Respekt gegenüber Minderheiten, für Anerkennung vielfältiger Identitäten und Teilhabe. Debatten über strukturelle Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch. Debatten über die Folgen des Klimawandels und Aktivitäten dagegen. Wir sehen auch neue, demokratische Kräfte an der Macht, in den USA oder Chile. Und von der frisch gewählten deutschen Regierung erhoffen sich einige auch neue demokratische Impulse; Frauen leiten rund die Hälfte der Ministerien, und erstmals ist ein Kind einer türkischen Einwanderungsfamilie deutscher Minister. Das ist mehr als Symbolik.

Nadzieja i tęsknota / Umut ve Özlem / Hoffen und Sehnen heißt eine unserer neuen Inszenierungen, die wir für die zweite Hälfte der Spielzeit planen.

Der Titel bringt mich zu der Frage: Wollen wir alle versuchen, mehr zu hoffen? Und aus den Hoffnungen zu schöpfen? Hoffnungen werden auch enttäuscht; ich verstehe, dass Menschen davon ermüden und manchmal auch frustriert sind. Ich möchte die Erschöpfung nicht gewinnen lassen. Sondern dagegen angehen, auch mit unserem Theater.

INMITTEN DES STURMS SPIELEN WIR THEATER, ZEIGEN KUNST.
Weil im Theater zusammenkommen: Verstand und Fantasie. Sinn und Sinnlichkeit, Nachvollziehbares und Irritierendes, Bekanntes und Ungesehenes. Und daraus ein anderer Zugang zur Welt entstehen kann, den es sonst nicht gibt. Weil wir hier zusammenkommen, in all unserer Unterschiedlichkeit. Und gemeinsam Erlebnisse teilen, nicht unbedingt die gleichen Gedanken und Gefühle dazu, aber weil eben genau das Gesellschaft ausmacht und wir uns darin begegnen, anregen, reiben. Und der Sehnsucht nach kollektiven Erfahrungen folgen können.
Als Künstler*innen können wir im Theater trösten zweifeln singen streiten amüsieren stören wärmen wehklagen anklagen ermutigen träumen tanzen fragen finden suchen.
Was ist gut, was ist schlecht. Was ist jetzt mit der Welt.
Und wer sind wir in dieser Welt.
Wie geht es … weiter … geht es so … weiter?

FRAGEN SIE MIT UNS! SUCHEN UND ENTDECKEN SIE MIT UNS!
Auf den folgenden Seiten können Sie schon ein bisschen damit beginnen, stöbernd zwischen den Aufführungen und Projekten, mit denen wir der Welt begegnen wollen, von Shakespeare bis Şipal, von Ödipus bis Antigone, von Baroque bis Headroom und Salamis bis zur Hermannsschlacht – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie, von Westwind bis zur Bochum Fashion Week. Und dann freuen wir uns auf Sie und auf Euch im Schauspielhaus, im Theaterrevier, im Oval Office, in der Oval Office Bar und noch an ganz anderen Orten, die es auch zu entdecken gilt. Gemeinsam. Jede Vorstellung, die wir spielen, jede*r einzelne Zuschauer*in, die zu uns kommen, jedes blitzende Augenpaar zwischen Mundnasemasken, jedes Händeklatschen, jedes Gespräch in unserem Theaterrestaurant, das auch unsere Kantine ist, wo wir einander direkt begegnen können, sind ein Grund für Zuversicht. Und Ausdruck von Neugierde. Wie geht es weiter geht es – so!

Ihr und Euer
Johan Simons
Intendant Schauspielhaus Bochum


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