Aufzeichnungen aus dem Schlachthof Bochum: Cornelia „Connie“ Kiszka, seit 2004 Pförtnerin am Schauspielhaus Bochum, arbeitete von 1983 – 2003 als Fleischkontrolleurin am Fließband im Schlachthof Bochum. Im Vorfeld zu den Proben von Am laufenden Band nahm sie sich die Zeit, uns von ihren Erfahrungen zu berichten.

Mit 23 habe ich angefangen. Zuerst hatte ich nur fünf Jahre geplant, am Ende sind es 20 Jahre geworden. Ich brauchte das Geld. Meine Mutter war früher schon in einer Fleischfabrik und sagte mir: Die bilden wieder aus, als Fleischkontrolleure, im Osten nannte man das Veterinärinspekteure, ganz hochgestochen.

Die Ausbildung war stressig, mit einer Prüfung und dann bist du ans Band gegangen. Am Anfang habe ich mich ganz fürchterlich geekelt. Ich dachte, ich überleb das nicht. Ich konnte vorher ja nicht mal einen Fisch ausnehmen. Auch dieser Blutgeruch. Mich hat’s geschüttelt. Die anderen Kollegen haben mich oft auch geärgert … Irgendwie spürte ich aber: Ich muss das hinnehmen, dann hören die auf irgendwann … Man stumpft wirklich ab. Ganz in Weiß haben wir angefangen, ganz in Rot kamen wir wieder raus. Und wenn du falsch geschnitten hast, war das ganze Blut im Gesicht, das war dann eben so. Jeden Abend duschen, es ging gar nicht anders. Die ersten Jahre habe ich die Schreie der Tiere noch im Traum gehört, weil das hörst du ja in der Fabrik den ganzen Tag.

GANZ IN WEISS HABEN WIR ANGEFANGEN, GANZ IN ROT KAMEN WIR WIEDER RAUS.

Du bist hingegangen, hast deinen Spind aufgemacht, normale Klamotten ausgezogen. Die Arbeitsklamotten komplett in Weiß, weißer Pulli, weiße Hose, weiße Schürze, danach habe ich jahrelang kein Weiß mehr getragen. Ich konnte es nicht mehr sehen. Dann bist du in die andere Abteilung gegangen, da hing dein Helm, eine Koppel mit zwei Messern, da hängt ein Stahl dran zum Nachschärfen, ein Kettenhandschuh, die Gummischürze.

Das hast du dann auch noch alles angelegt, Ohrenschutz hatten wir auch noch. Aber man muss sich ja auch noch verständigen können. Früher hat man noch gequatscht, später nur gearbeitet. Anfangs waren es 40 Minuten Arbeitszeit, 20 Minuten Pause, damit sich die Augen von dem Blut erholen konnten. Später wurde das so verschärft, dass du sechs Stunden am Band standest: nach der Privatisierung. Da wurde die Belastung zu hoch, du wurdest sauer, wenn jemand krank wurde, hoher Arbeitsdruck … und man geht nun mal nur gerne zur Arbeit, wenn man sich wohl fühlt. Es hat sich die ganze Arbeitswelt massiv verändert. Seitdem fast nur noch Leiharbeiter beschäftigt sind, ist auch der Verdienst nicht mehr so gut wie damals.

Du hast dich gebückt, um die Lymphknoten am Kopf des Schweines zu untersuchen, dann 20 Minuten Wechsel, in denen du nur Tierkörper untersucht hast, dann Wechsel zu 20 Minuten Eingeweide, dann nur Därme untersucht, die fließen dann so einem vorbei. Dann Wechsel an den oberen Teil der Eingeweide, Lunge, Leber, Herz, hinter einem laufen die Tierkörper. Immer weiter und weiter. Wenn es etwas zu beanstanden gab, klebten wir rote Zettel drauf, haben eine Diagnose gestellt. Und der Tierarzt hat dann die letzte Entscheidung getroffen.

Schweine liefen 200 Stück pro Stunde durch. Ich habe mich in all den Jahren immer gefragt, wo all die Tiere herkommen. Wir hatten an langen Tagen bis zu 2.000 Schweine. Rinder haben wir an langen Tagen 400 gemacht, 30 bis 40 pro Stunde. Heb mal so ein Rinderherz an, mit einer Hand, und schneid das durch. Da weißt du abends dann, was du getan hast. Körperlich harte Arbeit. Die Tiere werden in die Gefrierhallen eingeschoben, das machen die Hallenarbeiter. Ich war aber Fleischkontrolleurin, also ein etwas anderer Job. Aber bei den Rindern habe ich das auch gesehen, in der Weiterverarbeitung – da bekommt man nochmal einen anderen Blick auf das Geschäft, den man nicht hat als Kontrolleurin, das war streng getrennt. Es ist eine große Halle, hinten stehen die Lohnschlachter, das Schwein kommt zu uns aus der Tötung, die sehen wir nicht als Untersuchungspersonal. Die Tiere sterben nicht durch den Schuss mit dem Bolzenschussgerät. Sie werden ja nur betäubt. Sterben müssen die durch Entbluten. Das wird seit Hunderten von Jahren so gemacht.

Schweine werden betäubt durch Gas. Dann machen die Lohnschlachter ihren Job, hängen die Tiere an einen Haken, untendrunter ist immer eine Schale, da kommt der Darm rein. Dann wird das Schwein durchgesägt in zwei Hälften, dann kommen wir. Da ist ein solcher Lärmpegel in dieser Halle, und du musst dich noch mit den Tierärzten unterhalten. Man musste also immer schreien. Dann werden die Schweinehälften untersucht und danach geht’s zum Stempeln, wo nochmal andere Arbeiter sind, die stempeln die Schweine ab, wenn die in Ordnung sind, dann geht’s zur Waage, die Schweine fahren raus und werden weiterverarbeitet. Bei den Rindern ging das ähnlich, nur etwas langsamer. Herz, Lunge, Leber, das hing alles an einem Stück, manchmal rutschte es runter, das war sehr anstrengend.

DAS BAND HÄLT NICHT AN, EGAL WAS PASSIERT. ES SEI DENN, ES IST WAS KAPUTT.

Die Zahl der zu verarbeitenden Tiere steht zu Beginn der Schicht fest und das muss abgearbeitet werden. Die Tiere gehen zum Töten, das Band läuft an und wir untersuchen nur noch. 200 Mal bei jedem zweiten Schwein bücken, um alles anzuschneiden und zu untersuchen … Das Band hält nicht an, egal was passiert. Es sei denn, es ist was kaputt, oder der Tierarzt entscheidet es aufgrund einer sehr außergewöhnlichen Situation. Aber Zeit ist Geld und dementsprechend war dann die Stimmung schlecht, wenn das Band gestoppt wurde. Ich wusste morgens also nie, wann ich Feierabend hatte. Mittwochs gab es keine zwei Schichten, da passierte alles in einem Rutsch. Noch 1.000 Schweine, oje. An Heiligabend waren wir mal bis 20 Uhr da.

Ich bin auf dem Schlachthof gealtert, könnte man sagen. Einmal ist ein Rind vom Band gerutscht, die eine Rinderhälfte ist jemandem auf dem Kopf gefallen, der hat mit einem Schädelbasisbruch noch Stunden weitergearbeitet. Was wir dann erst hinterher erfahren haben. Harte Jungs. Ich habe irgendwo auch noch eine Narbe, weil ich mal ein Messer geschliffen habe, aber den Stahlhandschuh vergessen hatte. Ständig diese Geräuschkulisse der Sägen und des Messerschärfens. Du brauchst scharfe Messer, damit du das alles bewältigen kannst, schneid mal so eine Luftröhre eines Rinds an. Da gibt es eine Spalte, wenn du die triffst, geht’s leicht durch, aber sonst, wenn die verkehrt herum hängt? Und das dann mit einem stumpfen Messer, nach 400 Rindern? Ständig die gleiche Bewegung, den ganzen Tag. Fabrikarbeit macht deinen Körper über die Jahre kaputt. Bandscheiben-OP mit 30 Jahren. Jahre danach musste mir noch ein Nerv im Handgelenk verlegt werden. Wir waren allerdings schon der Meinung, wenn es uns nicht gäbe, gäbe es auch viel mehr Todesfälle, Krankheiten … den Rest haben wir ausgeblendet. Wichtig war, dass du einen guten Job machst, darauf zu achten, dass keine kranken Körper weiterverarbeitet werden. Wie aus fünf Jahren dann 20 geworden sind, das frag ich mich heute noch. Es gab halt gut Geld.

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