Das Publikum kennt Guy Clemens als Schauspieler u. a. aus den Bochumer Inszenierungen Asche zu Asche oder Plattform/ Unterwerfung sowie zuletzt als drangsalierter, schließlich befreit auftanzender Sonderling Minute in Mysterien nach Knut Hamsun oder in der Titelrolle der Romanadaption Der große Gatsby. Als Regisseur stellte er sich erstmals 2021 mit der Inszenierung des schwarzhumorigen Dramas Der Kissenmann von Martin McDonagh vor, die weiterhin in den Kammerspielen zu sehen ist. Nun bereitet er seine zweite Regiearbeit am Schauspielhaus Bochum vor.

Wonach suchst du, wenn du ein Stück auswählst?

Mich interessieren Stücke aus unserer Zeit – eher als große Klassiker – und ich achte darauf, dass die Sprache eine eigene Kraft hat. Und ich suche nach Freiraum für szenische Fantasie.

Liest du Stücke als Regisseur anders als als Schauspieler?

Als Spieler schaue ich danach, welchen Weg meine eigene Figur durch ein Stück nimmt. Als Regisseur betrachte ich alle Rollen. Und ich suche nach Momenten, von denen ich noch nicht weiß, wie sie zu lösen sind. Das reizt mich.

Weiße Stellen.

Ja, auch als Zuschauer suche ich im Theater immer nach Momenten, die ich nicht sofort erklären kann, obwohl sie mich beeindrucken.

Was fasziniert dich generell am Theater?

Ich finde es immer toll, wenn die Zuschauer*innen am Ende weniger über die Regie oder die Schauspieler*innen oder das Bühnenbild sprechen, sondern über sich selbst. Dass sie darüber nachdenken, was sie an ihr Leben erinnert hat. Und dass sie im besten Fall gerührt oder berührt sind.

Welche Themen bewegen dich?

Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich. Da sehe ich konfliktreiche Zeiten auf uns zukommen. Und ich denke viel über Wokeness nach, darüber, wie wir wacher sein können für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung, zum Beispiel im Hinblick auf die Position von Frauen in unserer Gesellschaft. Das betrifft natürlich auch mein eigenes Verhalten.

Eher Tragödie oder Komödie?

Das eine ist nicht ohne das andere zu haben. Wenn eine Aufführung keinen Humor hat, halte ich es nur schwer aus.

Als Regisseur denkst du meinem Eindruck nach stark von den Schauspieler*innen aus. War der Positionswechsel für dich schwer?

Ich musste lernen, dass ich nicht mehr dazugehören kann. Als Regisseur muss ich auch für andere entscheiden. Mein Blick auf das Spielen hat sich ebenfalls verändert. Als Akteur lasse ich mir gern Zeit und entwickle etwas über Wochen, bis es zur Premiere den Höhepunkt erreicht, als Regisseur ist es umgekehrt: Ich muss zu Beginn der Proben viel anstoßen und zum Ende hin loslassen.

Wie haben deine Ensemble-Kolleginnen auf dich als Regisseur reagiert?

Das größte Kompliment war, dass sie am Ende sagten, dass sie noch einmal mit mir arbeiten wollten. Obwohl natürlich nicht alles glatt lief. Ich hoffe, es wird wie beim Fahrradfahren: Beim ersten Mal hat man keine Ahnung, wie lang und schwer der Berg ist, beim zweiten Mal weiß ich es schon besser, und ich freue mich darauf. Und auf die Reaktionen des Publikums, wenn wir angekommen sind!
 

Interview: Vasco Boenisch
Foto: Fatih Kurceren